Asperger
In meiner langjährigen Praxis in der Schulberatung sind mir immer wieder Schüler mit Asperger-Syndrom begegnet. Ich setze mich engagiert und mit Nachdruck für deren Förderung und Integration ein. Diese Menschen haben oft ganz besondere Begabungen. Gerade sie werden aber auch oft übersehen oder gemobbt und schikaniert.
Im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Artikel 3 steht: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“
Entgegen der landläufigen Meinung sind Asperger keine empathielosen Nerds mit Spezialinteressen. Ihr Gehirn ist nur ein bisschen anders verdrahtet. Sie haben eine Reizfilterschwäche in unterschiedlichen Ausprägungen. Sehen, Hören, Fühlen, Riechen, Schmecken und Körperempfindungen strömen unablässig auf sie ein.
Die Welt, in der wir leben, ist nicht für Autisten gemacht. Wir leben in einer Kultur, in der diejenigen sich anpassen müssen, die in der Minderheit sind. Die Gesellschaft erwartet das und ist da wenig tolerant.
Asperger-Autisten müssen im Laufe ihres Lebens mühsam lernen, korrekt auf soziale Erwartungen zu reagieren. Viele Dinge laufen bei den anderen, den neurotypischen Menschen vom Kindesalter an unbewusst ab: Sarkasmus erkennen, Blickkontakt halten, höfliche Floskeln austauschen. Autisten müssen dafür sehr viel Willenskraft und Energie aufbringen. Das fühlt sich für sie an wie in eine andere Rolle zu schlüpfen und ist unglaublich kräftezehrend.
Dabei sind „Aspies“ meist besonders willensstark und arbeiten akribisch, sorgfältig und genau. Wenn sie etwas erreichen möchten, schaffen sie das meistens.
Aber sie sind auch geräuschempfindlich und vertragen die Gesellschaft vieler Menschen nur eine begrenzte Zeit. Autisten nehmen alles gleichzeitig wahr. Ihr Gehirn gibt allen Reizen die gleiche Priorität. Es gibt keine Filter, durch die sie sich automatisch auf das Wesentliche konzentrieren können. Das bedeutet: Wenn sie sich mit jemandem in einem Raum unterhalten, nehmen sie das helle und surrende Deckenlicht, die tickende Uhr und die im Hintergrund laufende Musik auf gleicher Ebene wahr wie etwa ein Gespräch. Das ist das Anstrengende.
Viele Menschen mit Asperger-Autismus haben besondere Fähigkeiten. Sie haben oft einen Blick für Fehler, sind sehr selbstkritisch und gründlich – bis zur Perfektion. Sie sind Meister darin, Muster zu erkennen. Bei manchen ist es zum Beispiel so, dass sie Rechtschreibfehler sofort erkennen. Die ploppen in ihrer Wahrnehmung sofort in fett und rot im Text auf. Viele Asperger haben auch einen sehr ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit, der helfen kann, aber natürlich auch stark belastet. Denn unsere Welt ist in den meisten Fällen ungerecht.
Manchmal liest man auch, dass Asperger eine milde Form des Autismus sei. Gerade dann, wenn die Betroffenen aufgrund ihrer überdurchschnittlichen Intelligenz mit Masking und erheblichen Anstrengungen ein ganz normales Berufsleben bewältigen. Das stimmt auf keinen Fall! Entweder man hat Asperger, oder man hat es nicht. Es gibt keine milde Form von Autismus. Oder hat man mit einem Beinamputierten schon mal darum gestritten, ob sein Bein ja nur ein bisschen ab sei? Nein!
Das Anderssein hochfunktionaler Autisten spüren manche Menschen intuitiv. Die Folge kann dann eine ablehnende und feindselige Haltung gegenüber den Menschen sein, die sie als fremd oder merkwürdig empfinden.
Ich selbst erhielt die gesicherte Diagnose Asperger.Syndrom relativ spät, nämlich erst im Februar 2023. Da stand ich kurz vor meiner Persionierung.
Unter diesem Aspekt ist es sicher verständlich, wie schwer es für mich gerade als Berufsanfänger im Lehrerberuf war. Die Seminarzeit ging ganz gut vorüber, der Seminarleiter im zweiten Jahr ließ uns oft Stillarbeit verrichten. Nun ja! Stillarbeit als Autist mochte ich sehr.
Dann aber versetzte man mich als Berufsanfänger an eine Schule mit zweisprachigen Klassen in Hof. Hier musste ich von der ersten Klasse (ohne Grundschulausbildung) bis zur 9. Klasse die türkischen Schüler unterrichten.
Das war für mich so anstrengend, dass ich innerhalb von fünf Jahren zwei mal mit meinem Auto direkt nach dem Unterricht ein anderes Kraftfahrzeug im Pausenhof unabsichtlich rammte. So durch den Wind war ich manchmal nach dem Unterricht gewesen.
Aber ich lernte dazu, und mit den Schülern kam ich später immer gut zurecht, besonders mit denen, die anders waren als die anderen.
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